Dialogmarketing für Neubürger

 

Ausgangslage:

Es ist mehrfach beobachtet worden, dass es bei Brüchen in der Biographie und im räumlichen Kontext (Umzug, Ende des Erwerbslebens) deutlich häufiger zu Verhaltensänderungen - auch bei der Verkehrsmittelwahl - kommt. In diesen Situationen sind Menschen empfänglicher für „soft-policy-Maßnahmen“, d.h. Informationen und Anreize zum Umstieg werden eher wahrgenommen und genutzt. Marketing im ÖPNV ist allgemein erfolgreicher, wenn es auf die Bedürfnisse und Erwartungen der Zielgruppe ausgerichtet ist und sich – wie im Mobilitätsmanagement praktiziert – an situativen und räumlichen Ansatzpunkten orientiert.
Es liegen mittlerweile einige Studien zur Beeinflussung der Verkehrsmittelwahl bei Neubürgern vor; am besten evaluiert wurde dabei bisher ein Pilotvorhaben zum Dialogmarketing für Neubürger in der Stadt München im Jahr 2006. Dabei ergab sich, dass nach einer Dialogmarketingkampagne für Neubürger der Anteil der mit dem ÖPNV zurückgelegten Wege um 7,6 Prozentpunkte über den Werten einer Kontrollgruppe lag.
Derzeit besteht Forschungsbedarf vor allem dahingehend, welches eigentlich die zentralen Komponenten sind, mit denen der ÖPNV-Umstieg unterstützt wird: Individualisierte Informationen, professionelle Beratungsgespräche oder allgemeine ÖPNV-Informationen? Dieses Wissen ist für eine Ausweitung des Ansatzes in die Praxis von hoher Bedeutung, da nur hiermit ein effizientes Neubürgermarketing konzipiert werden kann. Projektziele: Im Kern sollen folgende Fragen beantwortet werden:

  • Was sind die Wirkungsmechanismen, die zu Verhaltensänderungen in der Verkehrsmittelwahl nach dem Umzug führen?
  • Was bewirken „informatorische“ und was bewirken „dialogische“ Komponenten beim Neubürgermarketing?
  • Welche verkehrlichen und ökonomischen Effekte lassen sich durch Neubürgerkampagnen nachweisen?

Projektinhalte und -aufbau:

Im Rahmen des Projektes wurden die Erkenntnisse der Umwelt-, Gesundheits- und Mobilitätspsychologie zur Verhaltensänderung aufbereitet. Mit Hilfe von Literaturrecherchen und einer Befragung aller Verkehrsunternehmen und -verbünde in Deutschland wurden Neubürgermarketing-Ansätze systematisiert und der Stand der Praxis dargestellt.
Darauf aufbauend wurden Musterkampagnen abgeleitet und anschließend gemeinsam mit den Praxispartnern drei Kampagnentypen festgelegt, die in den beteiligten Städten München, Halle an der Saale und Frankfurt am Main in der gleichen Art und Weise ab Februar 2008 durchgeführt wurden. Hierzu wird eine zufällige Verteilung der Kampagnentypen auf 3600 Neubürger sichergestellt. Die Kampagnentypen unterschieden sich in Umfang und Inhalt. Während bei Typ1 ein „Standartparket“ mit Grundinformationen (Stadtplan mit ÖPNV-Linien, Liniennetzplan, Tarifinformationen) ausgehändigt wurde, wurde bei Typ2 lediglich eine „Servicekarte“ ausgegeben. Mit dieser hatten Neubürger die Möglichkeit durch persönliche Beratung und Ansprache (Dialog) ein kostenloses ÖPNV-Wochenticket sowie ausgewählte Informationsmaterialien zum ÖPNV, Radverkehr und Carsharing zu bestellen. Typ3 ist eine Kombination der ersten beiden Typen.
Ca. zwei Monate nach den Kampagnen wurden Face-to-face-Interviews und Telefonbefragungen mit den Teilnehmern der drei Experimentalgruppen und zusätzlich mit einer Kontrollgruppe aus weiteren 3600 Neubürgern, die keine Informationen erhielten, durchgeführt.

Ergebnisse:

Dies verdeutlicht, dass die Interventionsform ‚Nur Dialog‘ die Neubürger zur ÖV-Nutzung motiviert, welches zulasten des Fußwegeanteils geht. Hingegen hat die Interventionsform ‚Nur Informationen‘ den Effekt, dass der MIV-Anteil leicht sinkt und der zu Fuß zurückgelegten Wege steigt. In der Personengruppe, die die kombinierte ‚Informationen & Dialog‘-Interventionsform erhalten haben, sinkt der MIV-Anteil am stärksten. Gleichzeitig steigt in dieser Personengruppe der Rad- und ÖV-Anteil.

In der vorliegenden Studie zeigt sich, dass ein Neubürgerpaket mit der Kombination aus standardisierten Informationsmaterialien und der Möglichkeit einer persönlichen Beratung und Ansprache die Neubürger stärker dazu bewegt vom MIV auf die Verkehrsmittel des Umweltverbundes umzusteigen.

Veröffentlichungen/Vorträge:

ISB-Institut für Stadtbauwesen und Stadtverkehr der RWTH Aachen, Bamberg, S. (2009).

Evaluation von Dialogmarketing für Neubürger. Abschlussbericht im Auftrag des BMVBS. FoPS Projekt Nr. 70.0795/2007. Aachen.

Breaking habitualised car use with a 'Soft-Policy' measure? - Effects of a dialogue marketing campaign on new citizens' daily mobility. Vortrag auf der European Transport Conference (ETC), 5.10.2009, Noordwijkerhout, Niederlande

Effects of a dialogue marketing campaign on new citizens' daily mobility. Vortrag auf der European Conference on Mobility Management (ECOMM), 6.5.2010, Graz, Österreich

Förderer:

Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ( BMVBS ), Forschungsprogramm Stadtverkehr , FE-Vorhaben 70.0795/2006

Laufzeit:

März 2007 bis Februar 2009

Projektpartner:

Institut für Stadtbauwesen und Stadtverkehr, RWTH Aachen (Projektleitung)
Institut für empirische und angewandte Sozialforschung e.V. (Priv.-Doz. Sebastian Bamberg), Justus-Liebig-Universität Gießen
omniphon , Leipzig

Praxispartner:

Münchener Verkehrsgesellschaft ( MVG ),
Stadt München
Hallesche Verkehrs-AG ( HAVAG )
ivm GmbH (Integriertes Verkehrsmanagement Region Frankfurt RheinMain),
RMV (Rhein-Main-Verkehrsverbund),
traffiQ (Lokale Nahverkehrsgesellschaft Frankfurt am Main)

Bearbeiter am ISB:

Reyhaneh Farrokhikhiavi, M. A., Dipl.-Ing. Armin Langweg