Reurbanisierung und residenzielle Selbstselektion - Determinanten der Standort- und Verkehrsmittelwahl Bewusster Innenstadtbewohner

  • Reurbanisation and Residential Self-Selection - Location and Travel Mode Choice of Intentional Urbanites

Bruns, André; Vallée, Dirk (Thesis advisor); Gertz, Carsten (Thesis advisor)

Aachen : Institut für Stadtbauwesen und Stadtverkehr (2015, 2015)
Doktorarbeit

In: Berichte / Institut für Stadtbauwesen und Stadtverkehr 58
Seite(n)/Artikel-Nr.: 262 S. : graph. Darst.

Zugl.: Aachen, Techn. Hochsch., Diss., 2014

Kurzfassung

Inhaltliche Ausgangspunkte der vorliegenden Arbeit sind zum einen die Diskussion um das Phänomen einer "Renaissance der Städte" bzw. "Reurbanisierung" und die Frage nach den hieraus resultierenden Auswirkungen auf die Entwicklung von Mobilität und Verkehr in Städten. Zum anderen bezieht sich die Arbeit auf das Thema "residenzielle Selbstselektion" als Teil des Diskurses zur Verkehrsgenese. Schwerpunkt der Ausführungen ist die Beantwortung von zwei Fragenkomplexen: Auf individueller Ebene wird analysiert, inwieweit Reurbanisierung auch Resultat verkehrlich motivierter residenzieller Selbstselektion ist und welche Konsequenzen hierdurch für die Entwicklung von Mobilität und Verkehr zu erwarten sind. Im Mittelpunkt des zweiten Fragenkomplexes auf kollektiver Ebene steht die Frage nach Existenz und Eigenschaften des "Personals" der Reurbanisierung, im Folgenden "Bewusste Innenstadtbewohner" genannt, und ihren spezifischen Standortpräferenzen hinsichtlich Mobilität und Verkehr. Der Untersuchungsansatz der Arbeit besteht in der quantitativ statistischen Überprüfung von auf Basis der zentralen Fragenkomplexe abgeleiteten Hypothesen zu den Wirkungen residenzieller Selbstselektion auf individueller und kollektiver Ebene. Grundlage der Analysen sind primär-statistische Daten aus einer schriftlichen Befragung von Zu- und Umzüglern in drei Modellstädten (Hamburg, Leipzig und Aalen). Die Analyse der Effekte residenzieller Selbstselektion auf individueller Ebene erfolgt mittels multivariater statistischer Verfahren in Form multipler Logistischer Regressionsmodelle zu den Determinanten der Standort- und Verkehrsmittelwahl. Basis für die Analysen auf kollektiver Ebene ist ein Segmentierungsansatz, der in Anlehnung an das Konzept des "spatial match / mismatch", die Übereinstimmung einer generell urbanen Standortpräferenz mit dem tatsächlichen Wohnstandort kombiniert. Die Analysen auf individueller Ebene zeigen, dass die Wahl eines innerstädtischen Standorts insbesondere auch aufgrund spezifischer Präferenzen hinsichtlich raumstruktureller Erreichbarkeiten erfolgt. Hierbei sind es insbesondere Haushalte mit einer Präferenz für gute nahräumliche Erreichbarkeiten, die in innerstädtische Gebiete ziehen bzw. sich im Sinne der Selbstselektionshypothese "hineinselektieren". Darüber hinaus belegen die Modellschätzungen den vermuteten direkten und indirekten Einfluss residenzieller Selbstselektion auf die Verkehrsmittelnutzung. Zum einen wirken die Standortpräferenzen neben raumstrukturellen und soziodemographischen Aspekten in plausibler Richtung direkt auf die Intensität der Verkehrsmittelnutzung. Zum anderen kann aus den Ergebnissen geschlossen werden, dass residenzielle Selbstselektion auch indirekt über die raumstrukturellen Erreichbarkeiten am bewusst gewählten Standort auf die Verkehrsmittelnutzung wirkt. Die Modellschätzungen lassen zudem den Schluss zu, dass der Einfluss der Standortpräferenzen auf die Verkehrsmittelnutzung deutlich größer ist als der von Raumstruktur oder Lebenslage.Auf kollektiver Ebene wird mit dem angewandten Segmentierungsansatz auf Basis des Wohnorts sowie des Suchraums der Probanden eine Gruppe "Bewusster Innenstadtbewohner" identifiziert und von weiteren Bewohnertypen ("Sonstige Innenstadtbewohner", "Bewohner der Äußeren Stadt") differenziert. Die Bewussten Innenstadtbewohner sind mit einem Anteil von etwa einem Drittel der Gesamtstichprobe und zwei Drittel der innerstädtischen Haushalte eine quantitativ bedeutende Gruppe. Vergleiche zwischen den Bewohnergruppen hinsichtlich Standortpräferenzen, verkehrsmittelbezogenen Einstellungen sowie Verkehrsmittelverfügbarkeit und -nutzung zeigen ein klares Profil der Bewussten Innenstadtbewohner, welches den Befunden auf individueller Ebene entspricht: a) ein höherer Stellenwert guter nahräumlicher Erreichbarkeiten bei der Standortwahl, b) eine signifikant geringere PKW-Verfügbarkeit (vor und nach dem Zu- / Umzug), c) einesignifikant stärkere Affinität zum Rad sowie dem ÖPNV (ohne Ablehnung des MIV), d) eine signifikant stärkere Nutzung des Fahrrads und geringere Nutzung des MIV, e) eine insgesamt stärker multimodale Verkehrsmittelnutzung.Als prototypische Reurbaniten stellen die Bewussten Innenstadtbewohner somit ein bedeutendes Potenzial für eine nachhaltige Entwicklung der städtischen Verkehrsnachfrage dar. Um dieses Potenzial zu realisieren, bedarf es jedoch einer aktiven planerischen Strategie. Diese umfasst neben einer strategischen, auf Mobilität statt Verkehr fokussierten Planung, die Schaffung verkehrssparsamer Raumstrukturen auf Angebotsebene, sowie nachfrageseitig die zielgruppenspezifische Kommunikation der so geschaffenen Erreichbarkeitsqualitäten. Die im Rahmen einer solchen integrierten Stadtentwicklungsstrategie geschaffenen Erreichbarkeitsqualitäten sind Ausgangspunkt für Prozesse residenzieller Selbstselektion und tragen als wesentlicher urbaner Standortvorteil dazu bei, Reurbanisierung zu fördern.

Einrichtungen

  • Lehrstuhl und Institut für Stadtbauwesen und Stadtverkehr [313310]

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